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Z(w)eitzeugen zu Besuch

Gleich zwei Mal waren Z(w)eitzeugen in der Jahrgangsstufe 10 zu Besuch, um an Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der NS-Zeit zu erinnern.

Die beiden Veranstaltungen fanden zum einen in Kooperation mit dem Projekt Zweitzeugen des Bistums Limburg unter der Leitung von Marc Fachinger, zum anderen mit dem Projekt Jüdisches Leben in Frankfurt unter der Federführung von Angelika Rieber statt. Der Ausdruck „Zweitzeugen“ bezeichnet in diesem Zusammenhang Personen, die als enge Angehörige oder Freunde von Holocaust-Überlebenden über deren Erlebnissen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft berichten.

Am Montag, dem 16. Juni, erzählte Matthias Thoma, Leiter des Frankfurter Eintracht-Museums, gestützt durch Filmaufnahmen und Fotografien vor den Klassen 10B und 10C aus dem Leben von Helmut „Sonny“ Sonneberg. Helmut „Sonny“ Sonneberg wurde 1931 als uneheliches Kind jüdischer Eltern in Frankfurt geboren. Die Mutter heiratete kurz darauf einen Katholiken und so wuchs Helmut Sonneberg in einem katholisch geprägten Haushalt auf, freute sich auf die Sonntage, an denen er als Messdiener im Dom tätig war. Erst 1938 erfuhr er, dass sein leiblicher Vater, ebenso wie die Mutter, jüdischen Glaubens war und er damit nach den Rassegesetzen als „Jude“ galt. Er musste seine Grundschule verlassen und in ein jüdisches Kinderheim umziehen, wurde auf der Straße als Jude bespuckt und geschlagen. Immer wieder bewahrte ihn sein Stiefvater vor den wiederkehrenden Deportationszügen, doch im Januar 1945 wurden er und seine Mutter nach Theresienstadt deportiert. Beide überlebten die Shoah und kehrten nach Kriegsende nach Frankfurt zurück.

Bereits 1946 trat „Sonny“ dem Verein Eintracht Frankfurt bei, wo er als Fan-Urgestein bei allen bekannt und beliebt war. Dort lernte ihn auch Matthias Thoma kennen, der schließlich nach vielen Gesprächen Sonnebergs Biographie veröffentlicht hat: Sonnys Geschichte. Von Ausgrenzung und Eintracht. Viele Jahrzehnte hatte Sonny nicht über seine geraubte Kindheit gesprochen, nun ging er in Schulen und erzählte dort zur Mahnung seine Geschichte. Seit Helmut „Sonny“ Sonneberg vor zwei Jahren starb, ist es Matthias Thoma, der als Zweitzeuge Sonnys Geschichte weiterträgt. Für die Schülerinnen und Schüler, die dem Vortrag von Matthias Thoma im Beisein ihrer Geschichts-Lehrkräfte, Herrn Moritz und Frau Givsan, zuhörten, wurde die Veranstaltung zu einer eindrückliche Begegnung mit einem Frankfurter Bub, der aufgrund des Glaubens seiner leiblichen Eltern verfolgt worden war und der sich nach dem Krieg – auch bei Eintracht Frankfurt – immer wieder für Respekt und gegen Ausgrenzung jeglicher Form engagiert hat.

Am Dienstag, dem 17. Juni, waren dann die beiden Zweitzeugen Alejandro und Gustavo Zarwanitzer an unserer Schule. Sie leben heute in Argentinien und kamen auf Einladung der Stadt Frankfurt in die Heimat ihrer Vorfahren, um vor Schülerinnen und Schülern von dem Leben ihrer Großeltern mütterlicherseits, Johann und Georg Simon, zu berichten. Am Gymnasium Römerhof kamen sie in der Schulbibliothek mit den Klassen 10A und 10D zusammen, die von ihren Geschichts-Lehrkräften, Herrn Dr. Schaal und Frau Riedel, begleitet wurden.

Alejandros und Gustavos Großmutter war Johanna Simon. Johanna Simon war eine couragierte und emanzipierte Frau, die als eine der ersten Zahnärztinnen in Deutschland im Frankfurter Stadtteil Schwanheim zusammen mit ihrem Mann Georg eine eigene Zahnarztpraxis betrieb. Als Juden wurde für sie das Leben unter dem Hakenkreuz seit 1933 immer unerträglicher. Von der täglichen Diskriminierung und Entrechtung zunehmend betroffen, entschloss sich das Ehepaar, mit seinen beiden Kindern Ernst und Ellen im Jahre 1936 Deutschland zu verlassen und nach Argentinien zu fliehen. Dabei spielte die Tatsache eine wichtige Rolle, dass die Nationalsozialisten jüdischen Ärzten die Ausübung ihrer Berufe zunehmend erschwerten. Johanna und Georg Simon sahen deshalb keine berufliche Perspektive mehr in Deutschland und waren gezwungen, sich jenseits des Atlantiks eine neue Existenz aufzubauen. Das war schwer genug, denn die fremde Sprache und das ungewohnte Klima waren eine große Herausforderung; zudem erhielt das Ehepaar keine Erlaubnis, in Argentinien eine Zahnarztpraxis zu eröffnen. Schließlich gelang jedoch die Integration, und ihre beiden Kinder konnten studieren. Ernst trat in die Fußstapfen seiner Eltern und wurde Zahnarzt; Ellen, seine jüngere Schwester, Naturwissenschaftlerin. Ellens Kinder wiederum, also die Enkel von Johanna und Georg Simon, sind Alejandro und Gustavo, die im Jahre 2025 erstmals die Heimatstadt ihrer Großeltern besuchten. Ihr Vortrag war eine wertvolle Gelegenheit, Geschichte lebendig und persönlich zu erleben. Die Schülerinnen und Schüler konnten somit aus erster Hand erfahren, was Verfolgung, Flucht und Neuanfang für die betroffenen Familien bedeuten.

Nach den beiden Veranstaltungen möchten wir unseren Zweitzeugen für die Berichte über das Schicksal der vom Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Menschen herzlich danken. Solche Begegnungen sind eine wertvolle Ergänzung unseres Unterrichts und fördern das Verständnis für die Vergangenheit. Die Arbeit mit Zeit- und Zweitzeugen wollen wir daher auch in Zukunft fortsetzen.

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